Seit fünf Wochen versammeln sich jeden Mittwoch ab 18 Uhr aufrechte Brühlerinnen und Brühlern vor dem Rathaus in der Uhlstraße, um den Opfern der Corona-Pandemie zu gedenken.
Zu bewegenden Trompetenklängen von Susanne Riemer gedachten die Teilnehmer der Mahnwache den Menschen, die uns von dem Virus genommen wurden.
Brühl hat 62 Menschen an die Pandemie verloren. Diese Menschen haben Angehörige und Freunde.
Brief einer Bürgerin
Eine Freundin eines dieser Corona-Opfers verlas einen eindrucksvollen Brie,f der hier nachzulesen ist.


Rede einer Bürgerin
Eine bewegende Rede zu Wissenschaft und Demokratie wurde von einer Brühler Bürgerin gehalten, die wir hier in Gänze wiedergeben..
„Liebe Mitbürger*innen
Finden Sie es auch schwer, sich in dieser Zeit im Dschungel an Informationen zurecht zu finden?
Viele Menschen sind verunsichert. Sie glauben, dass man kaum beurteilen kann, welche der Fakten nun die richtigen sind und wem man glauben soll. Da werden von einzelnen Menschen Studienprotokolle in den sozialen Medien unter die Lupe genommen, um scheinbar zu belegen, warum man uns, die breite Öffentlichkeit, betrügen möchte.
Schädigt die Impfung nun oder nicht? Dringt das Spike-Protein ins Gehirn rein oder nicht? Helfen manche der an den Pranger gestellten Medikamente doch?
Zwei Dinge helfen mir zuversichtlich zu sein: ich glaube an die Orientierung, die mir
- die Wissenschaft und
- unsere Demokratie geben. Warum? Das möchte ich hier kurz erzählen.
I. Können wir also die Spreu vom Weizen trennen?
I.A. Dahinter steht zunächst die Frage, wie wir Fakten beurteilen können in dieser schnelllebigen Zeit. Ist Wissen von heute etwa morgen schon überholt?
Die erste Antwort mag Sie verunsichern: denn forschen heißt lernen! Und das bedeutet, dass morgen schon falsch sein kann, was auf Basis heutiger Erkenntnisse noch richtig schien. Oder umgekehrt! Denken Sie an die Frage, ob Masken schützen! Oder wieviele Impfungen notwendig sind.
Wir können nur dem neuesten Stand des Wissens folgen und versuchen, daraus bestmögliche Entscheidungen zu treffen.
Doch die gute Nachricht ist: Kontroverse Diskussionen schützen uns vor dem Verfall in Ideologie. Die Demut, mit der seit Beginn der Pandemie die Infektiolog*innen, Virolog*innen etc. sich vor die Kamera stellen und beschreiben, wie sich ihre Einsichten verändern, sind nicht das Zeichen von Schwäche, – sondern von fortschreitender Erkenntnis.
Alles andere, das Stehenbleiben auf einer starren Wahrheit, ist der Verfall ins Dogma.
I.B. Dennoch ist Wissenschaft nicht beliebig. Das ist die zweite gute Nachricht. Es gibt eine ganze Reihe von Kriterien, um Studien zu bewerten:
1. Seriöse Fachblätter lassen jeden Artikel durch eine unabhängige Gruppe von anderen Wissenschaftler*innen prüfen (das nennt man „Peer Review“). Diese Expert*innen schauen sich die Studien, die hier veröffentlicht werden sollen, sehr genau an: wie ist die Studie aufgebaut, mit welchen Fragen, werden sehr viele oder sehr wenige Personen beobachtet, gibt es eine Kontrollgruppe uvm. Auch wenn es wie überall auch schwarze Schafe gibt – im Großen und Ganzen können wir vertrauen, dass ihr grünes Licht bedeutet, dass die Daten in dem Moment Bestand haben.
2. Wenn über eine längere Zeit und von sehr vielen Wissenschaftler*innen weltweit ähnliche Ergebnisse bestätigt werden, dann steigt die Halbwertszeit der Ergebnisse, sie werden belastbarer. Andersrum kann sich eine Studie als Einzelmeinung entpuppen und durch eine Mehrheit gegenteiliger Ergebnisse in Zweifel gesetzt werden. Da spielt auch die Qualität des jeweiligen Fachblatts eine Rolle, da hier je nach Publikationsorgan unterschiedliche Standards vorliegen. Gute Journals präsentieren i.d.R. gute Forschung.
3. Neben den Bewertungen in der wissenschaftlichen Community spielen bei Medikamenten die Zulassungsbehörden eine entscheidende Rolle, da hier ja auch alle Rohdaten nochmal geprüft werden.
Von daher ist das schon ein verlässliches System, und erlaubt in aller Regel eine gute Wahrheitsfindung.
So ist z.B. die Corona-Impfung weltweit bislang milliardenfach verabreicht worden und ihre Wirkung weltweit in tausenden, voneinander unabhängigen Studien, bestätigt worden. Darauf vertrauen z.B. die wissenschaftlich geschulten Ärzte und Ärztinnen in deutschen Krankenhäusern, die bereits im Sommer 2021 zu 98 % geimpft waren (RKI, 4.10.2021).
Das ist das Gegenteil von dem, was passiert, wenn sich einer dahinstellt und in sozialen Medien seine sieben Weisheiten propagiert. Da findet kein Peer Review statt, keine wissenschaftliche Prüfung durch andere Experten. Das sind oft subjektive Einzelmeinungen. Unkontrolliert und ungefiltert verbreiten sich so Behauptungen unter Laien, die sie gar nicht wirklich einordnen und inhaltlich bewerten können.
Meine Botschaft an uns alle lautet daher: Vertrauen wir dem globalen wissenschaftlichen Mainstream! Je weiter verbreitet und je öfter eine Erkenntnis bestätigt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Bestand hat.
I.C. Die dritte gute Nachricht ist: Sie können darauf vertrauen, dass wir in Deutschland unabhängig arbeitende Fachgruppen haben, die alles unter die Lupe nehmen.
Es ist diffamierend, wenn in einschlägigen Kreisen behauptet wird, dass Wissenschaftler*innen nur das erzählen, was ihnen oder der Politik in den Kram passt – oder schlimmer noch, dass sie allesamt korrupt und gekauft seien.
Gerade in den öffentlichen Forschungsinstitutionen des Landes, dem Robert Koch Institut, dem Paul Ehrlich Institut, um nur zwei zu nennen, in den vielen, vielen Forschungsgruppen an Universitätskliniken etc. sind engagierte Männer und Frauen tätig, die im Dienst eines sich dynamisch entwickelnden Erkenntnisprozesses stehen.
Allein die Vorstellung, sie würden im Kontext der Pandemie mit Scheuklappen durch die Welt laufen, bewusst kritische Aspekte rund um Covid 19, der Impfung, der Therapie etc. unter den Teppich kehren, ist absurd!!
Nehmen wir ein konkretes Beispiel: das umstrittene Präparat Ivermectin, das gegen Parasiten bei Tieren und auch beim Menschen eingesetzt wird. Impfgegner behaupten vehement, Beweise zu haben, dass es gegen Corona-Viren hilft.
Die am Robert-Koch-Institut angesiedelte Fachgruppe COVRIIN hat sich das genau angeschaut. Die Gruppe versammelt Experten aus verschiedenen Disziplinen. Sie werten nicht nur peer- reviewed Publikationen aus, sondern auch Preprints und Pressemeldungen, um den Behandlern eine Orientierungshilfe zu geben durch die immer größere Landschaft der Arzneimittel[1].
Da sind weder blinde Flecken noch das bewusste Vorenthalten von relevanten Daten. Von über 300 gefundenen Datensätzen, konnte wegen ihrer Qualität nur ein Bruchteil (13) als für die Untersuchung relevant eingestuft werden. Sie kommen zum Schluss, dass wir ziemliche Versuchskaninchen wären, wenn wir dieses Medikament heute außerhalb von kontrollierten Studien zu uns nehmen würden. Keiner hier versucht, uns ein gegebenenfalls wirksames Medikament vorzuenthalten. Das Risiko der schwerwiegenden Vergiftung bei unkontrollierter Anwendung ist zu hoch, was weitere (internationale) Fachgruppen bestätigen[2].
Darauf kann und möchte ich vertrauen. Hier wird niemand mundtot gemacht. Konsequent werden nur diejenigen abgemahnt, die sich nicht an wissenschaftliche Standards halten und dabei nicht belastbare Meinungen propagieren. Diesen Wissenschaftler*innen böse Absichten, Machtinteressen, Betrug oder Korruption vorzuwerfen, ist skandalös. Wenn wir sie nicht hätten und würden sie nicht unbeirrt für Aufklärung kämpfen, würden wir noch im dunklen, abergläubischen Mittelalter leben.
I.D. Die vierte gute Nachricht ist: Es gibt, um uns Laien dabei zu helfen, konkrete Fakten einzuordnen, hervorragende, unabhängige und sehr engagierte Gruppen weltweit, die sogenannten Fakten-Checker.
Es sind Wissenschaftler*innen und Wissenschaftsjournalist*innen, die unablässig Behauptungen aufgreifen, die öffentlich im Umlauf sind, und auf Herz und Nieren prüfen. Das ist enorm aufwändig.
„Wir haben festgestellt, wie lückenhaft Statistiken sind”, sagt der ARD-Journalist Patrick Gensing der im April 2017 den ARD-Faktenfinder startete[3]. “Statistiken vermittelten oft nur die halbe Wahrheit, man brauche immer auch Experten, die die Zahlen einordneten.” „Diese Zahlengläubigkeit, die es teilweise gibt, ist irreführend.“
Drei weitere, sehr aktive deutschsprachige Plattformen sind zB Correctiv, Volksverpetzer und Mimikama. International gibt es die „Corona Virus Facts Alliance“[4]. Es sind nur einige von vielen. Schauen Sie sich gern dort um und freuen Sie sich, dass es Leute gibt, die sich diese Mühe machen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Und bedenken Sie: Falschmeldungen, die erstmal im Umlauf sind, sind kaum noch einzufangen. Faktenchecks erreichen nur einen Bruchteil der Reichweite gegenüber Fake News. Der beste Check ist also: gehen Sie kritisch mit dem Knopf Weiterleiten um!
Das bringt mich zum letzten Punkt dieser Rede.
II. Wissenschaft und Demokratie.
Wissenschaft, genau wie die Demokratie, verabscheut den ideologisch beliebigen Umgang mit der Wahrheit. Seit der Aufklärung leisten die Geistes- und Naturwissenschaften unermüdlich ihren Beitrag zur Emanzipation und zum kritischen Denken. Aufklärung ist die beste Waffe gegen gegen Fundamentalismen aller Art. Das heutige Europa würde ohne die Aufklärung und ohne den Glauben an die Realität wissenschaftlicher Erkenntnisse so nicht existieren, erinnerte die ehem. Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Bundestagsrede vom 09. Dezember 2020. Heute mehr denn je merken wir, dass Demokratie und Wissenschaftsfreiheit nicht selbstverständlich sind, sondern ein hohes Gut. Wenn Corona vorbei ist, werden die Nächsten kommen mit ihrer Sehnsucht nach einfachen Weltbildern und Antworten. Diese fällt oft zusammen mit der Sehnsucht nach einem vereinfachten politischen System.
Ja, es ist anstrengend, ständig zu lernen, einander zuzuhören, um einander zu verstehen.
Ja, es ist anstrengend zu denken, zu überdenken und zu diskutieren
Doch nur so können wir, in der Demokratie wie auch in der Wissenschaft, fundierte Schlussfolgerungen und Entscheidungen treffen. Die Wissenschaft steht auch nicht über der Demokratie – die kritische Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen und den Empfehlungen der Wissenschaft ist Teil unseres demokratischen Selbstverständnisses. Und das ist gut so.
Unsere Demokratie lebt! Der beste Beweis dafür ist, dass sie Freiheitsbeschränkungen aufzuheben weiß, wenn die Indikation dafür vorbei ist und dass wir hier versammelt stehen.
Vielen Dank
[1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/COVRIIN_Dok/Therapieuebersicht.pdf?__blob=publicationFile) (abgerufen 21.02.2022)
[2] https://www.bundestag.de/resource/blob/878376/b4dabf35a7d402a2e5e15b3d0c56e4c2/WD-9-102-21-pdf-data.pdf (abgerufen 21.02.2022). Es laufen noch weitere Studien zum Thema Ivermectin, was ebenfalls transparent kommuniziert wird.
[3] https://mindfarming.de/deutschland/gegen-fake-news-was-bringt-der-fakten-check/ (abgerufen 21.02.2022)
[4] https://correctiv.org, https://mimikama.at, https://www.poynter.org/coronavirusfactsalliance/
